Vorwort

Unter den Berührungen mit den Mitarbeitenden. die mir die Herausgabe meiner Dogmatik brachte, griffen die beiden Bitten, die gleich darauf an mich gerichtet wurden, besonders tief in meine Arbeit ein. Die eine fragte nach meiner Ethik,  die andere nach meiner Metaphysik. Beide Bitten überraschten mich zunächst. Dem Begehren nach der Ethik war ich geneigt zu antworten, Unser Wille sei geordnet, sowie wir den Gedanken erlangt haben, der uns an der Wahrheit Anteil gibt. Aber bald gewann die Frage, was sich aus dem, was als christliche Wahrheit vor mir stand, für unsre konkrete Lage als die von uns zu begehrenden Ziele ergebe, auch für mich eine ernste Bedeutung.  Auch den anderen Wunsch lehnte ich zunächst ab, gestützt auf die Regel, die meine ganze Logik umfaßt, daß der Vorgang, der unserem Bewußtsein seinen Inhalt zuleite, die Wahrnehmung sei. Die aus der Wahrnehmung entspringende Überzeugung ruht auf ihrem eigenen Grund, der durch nichts erschüttert werden kann. Dann setzte sich aber auch das mit dem Namen Metaphysik mir vorgehaltene Ziel in mir fest. Sind nicht dadurch, daß wir von Jesus unser Verhältnis zu Gott und damit auch unsre Ethik bekommen, auch die Begriffe, durch die wir uns die Welt deuten, in eine Bewegung versetzt, die sie erneuert? Schuf nicht Jesus dadurch, daß er unsrer Religion die Wendung gibt, die wir dankbar als unsre Versöhnung mit Gott preisen, auch die Epoche in unsrer Auffassung der Natur und des seelischen Lebens, so daß er uns auch eine neue Metaphysik gewährt?

Diese Erwägung hat nichts mit dem Versuch gemein, Jesus aus seiner antignostischen Richtung herauszuziehen und ihn mit philosophischen Zielen und Formeln zu beladen. Dem Wort Jesu muß seine geschichtlich gegebene Umgrenzung bleiben. Er richtete an Israel das Bußwort und schuf in seinen Jüngern den Glauben an Gott. Erneuerung des Willens war also das von ihm Gewollte und Bewirkte. Aber der Wille hat einen Denkakt in sich, ohne den er nicht entsteht, und wenn uns ein neuer Wille zuteil wird, so ist uns damit auch ein neuer Denkakt gewährt. Kann dieser nur die Auffassung einzelner Vorgänge verändcrn? Auch wenn unsre Wahrnehmung vollständig individualisiert ist und ganz konkret die uns jetzt berührende Wirklichkeit erfaßt, ist im Individualisierten das Allgemeine enthalten, und das Verständnis des konkreten Vorgangs macht unsre Beziehungen zum ganzen Geschehen neu.

Meine theologische Arbeit war von Anfang an durch den Kampf bestimmt, war aber nie Streit gegen diesen oder jenen einzelnen Kollegen, nicht gegen Biedermann in meiner Berner Zeit, nicht gegen Harnack in meiner Berliner Zeit, nicht gegen Ritschl in meiner Tübinger Zeit, sondern der Gegensatz, vor dem ich stand, gewann schon frühe für mich umfassende Größe, weil er das Vorchristliche und das Christliche, das Hellenische und das Biblische voneinander schied. Mein Biblizismus bestand in der Vertretung des Wortes Jesu und seiner Boten gegen die in der Kirche verbreiteten griechischen Traditionen. In dem Bereich, den wir Philosophie zu nennen pflegen, sind aber die griechischen Gedanken bis in die Gegenwart hinein mit besonderer Macht wirksam. Muß sich die Abwehr des Hellenismus in der Beschreibung Gottes und in der Begründung unsres Willens nicht vollends in der Logik und in der Naturlehre bewähren?

Ich habe damit kurz angedeutet, wie mich meine eigene Geschichte für die Frage, die sich nach meiner Metaphysik erkundigte, offen machte. Damit ist aber noch nicht begründet, daß ich meine metaphysischen Sätze in die Reihe unsrer Beiträge einordne. Das Schreiben ist eine gesteigerte Form des Sprechens, somit ein Gemeinschaft herstellender Akt, und die Gemeinschaft empfängt ihre Regel nicht nur durch die Art dessen, der sie herzustellen sucht, sondern zugleich durch die Lage der anderen. Wenn ich aber die Einreden erwäge, durch die die Kollegen ihre Entfernung von meiner theologischen Arbeitsweise und meinen Ergebnissen aussprechen, stellt sich immer wieder die Frage vor mich, ob nicht die alte Metaphysik ihre Einreden wirksam mitbestimme. Warum schrieb E. Haupt, meine neutestamentliche Theologie bestehe bloß aus Behauptungen? Kam es nicht daher, daß der griechischen Syllogistik der Sehakt nur eine »Behauptung« hervorzubringen schien und als unfähig galt, Gewißheit zu begründen und einen Beweis zu schaffen? Woher kam es, daß E. Schaeder in meiner Dogmatik ein „Bündel von Schlüssen« entdeckte, durch die ich angeblich den Gottesbeweis führen soll? Kam es nicht daher, daß der antiken Tradition jeder Denkakt, der die Gewißheit hervorhringt, ohne weiteres als ein von ihm  selbst geformter Schluß erschien? Wenn sich aber der Gegensatz in den metaphysischten Urteilen bis hinein in die konkreten Wahrnehmungen erstreckt und hier beständig die Verständigung erschwert, dann hat der Versuch, die gegeneinander stehenden metaphysischen Sätze deutlich zu fassen, einen starken Grund.

Für die Veröffentlichung der folgenden Skizze bildet freilich noch eine weitere Regel, unter die ich meine Arbeit immer stellte, die unentbehrliche Voraussetzung. Ich sehe in der freien Gemeinschaft die normale Form des Verkehrs zwischen denen, die sich an der theoretischen Arbeit und am Lehramt beteiligen. Ich schreibe daher nicht, um auf jemand das Zwangsgebot zu legen, sich auch noch mit meiner Metaphysik zu beschäftigen, bin aber der Meinung, daß für die, die aus anderweitigen Gründen veranlaßt sind, sich über meine theologischen Sätze ein Urteil zu bilden, der folgende Überblick über meine metaphysischen Urteile hilfreich sein kann.

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